"Die da oben und die da unten" - Bitte gehen Sie wählen!

Sogar im Ausland kennt man das Wort inzwischen schon: 'The German Politikverdrossenheit'. Doch wieso halten Bürger nichts mehr von 'denen da oben'? Und wieso ist die Demokratie in Gefahr, wenn immer weniger Leute zur Wahl gehen?

Stimmzettel
Ein Stimmzettel zur Bundestagswahl 2009 (Wahlkreis 126 Bottrop-Recklinghausen 3). Mit dem Kreuz in der linken Spalte wählt man den Direktkandidaten, mit dem in der rechten Spalte die Landesliste und damit die prozentuale Verteilung der Sitze im Bundestag.

Es gibt Länder, da werden Anschläge verübt. Nicht nur auf Zivilisten oder aus religiösen Gründen, sondern auch auf Wahllokale, um damit demokratische Wahlen zu verhindern. Menschen, die für ihre Meinung einstehen oder etwas an gesellschaftlichen Verhältnissen ändern wollen, riskieren ihr Leben, um ihre Stimme abgeben zu können. Fraglich bleibt obendrein, ob die Auswertung der Stimmzettel ehrlich und gesetzestreu erfolgt, Manipulationen im großen Stil sind in manchen Ländern keine Seltenheit. Die dadurch entstehenden Regime gleichen Diktaturen oder es handelt sich gleich um Militärregierungen; es gibt sogar Länder, in denen kein Frauenwahlrecht besteht.

In Deutschland ist das zum Glück nicht so. Hier kann jeder wählen, der wahlberechtigt ist und die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Niemand muss um sein Leben fürchten, der auf politische Prozesse Einfluss nehmen möchte, und das Risiko, dass bei der Auszählung der Stimmen 'geschummelt' wird, ist verschwindend gering. Trotzdem ist die Wahlbeteiligung weiter rückläufig.

"Wir können ja eh nichts daran ändern, dass die da oben machen, was sie wollen." - Wer so denkt, hat schon verloren. Denn wenn 'die da oben' wirklich etwas ändern sollen, müssen 'die da unten' zeigen, in welche Richtung es gehen soll. Dass dieser eigentlich demokratische Prozess immer mehr Zugkraft verliert, je weiter er im politischen System 'aufsteigt', ist leider ein Nachteil der Parteiendemokratie, aber noch lange kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen und Andere für sich entscheiden zu lassen.

Doch viele Deutsche tun leider genau das, indem sie nicht zur Wahl gehen. Umfragen zufolge sprechen nur 29% der Bundesbürger im privaten Kreis über die Bundestagswahl - das ist in etwa jeder vierte; nur jeder fünfte kennt den Wahltermin. So schlecht scheint es uns also nicht zu gehen, wenn es keiner großen Änderungen bedarf. Das sieht auch der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter so, der den Wähler als "launigen Politik-Kunden" bezeichnet: "Ein sonderbarer Mischling aus einem generellen Politikverweigerer und einem Wähler, der kurzfristig seine Interessen vom Staat befriedigen lassen will, aber sich aus politischen Grundsatzdebatten raushält." Die Wähler seien eher Konsumenten als Bürger. "Sorgenvolle Zufriedenheit" nennt ein anderer Wissenschaftler die Stimmung im Land.*

Es stimmt: Den Deutschen geht es verhältnismäßig gut. Wir sollten zufrieden sein. Doch dürfen wir nicht vergessen, wer in einer globalisierten Welt den Preis für unseren Wohlstand zahlt. Vielleicht denken wir bei der Wahl nicht nur an uns, sondern auch mal an jene Menschen, denen es schlechter geht. 'Meckermentalität' wird dann schnell überflüssig und pietätlos, Stimmenthaltung zum Zeichen der Ausbeutung.

Daher lautet mein Appell an Sie, liebe Leser: Lesen Sie Wahlprogramme! Auch wenn vieles von dem, was vor der Wahl versprochen, nach der Wahl nicht gehalten wird, die Richtung der Politik können Sie dennoch beeinflussen (und z. B. verhindern, dass antidemokratische Kräfte an die Macht kommen). Wenn Sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, engagieren Sie sich, sorgen Sie dafür, dass Volksentscheide möglich werden oder gründen Sie eine Interessenvertretung! Hinsetzen, mit dem Fuß auf den Boden stampfen, schmollen und "Alles Mist!" brüllen, ist was für kleine Kinder, nicht aber für mündige Bürger der Bundesrepublik Deutschland.

Und für welche Partei Sie sich auch immer entscheiden: Entscheiden Sie! Deutschland ist ein freies Land; für diesen Grad an Freiheit müssen andere Länder hart kämpfen und viele Menschen ihr Leben lassen. Gehen Sie wählen und tragen Sie damit ein Stück zur Erhaltung der friedlichen Demokratie bei! Damit auch Ihre Kinder und Kindeskinder noch wählen gehen können, ohne um ihr Leben zu fürchten...

*Quelle: Stolberger Zeitung

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