Man kann aus dem RTL-Dschungelcamp etwas lernen? Was abwegig klingt, hat einen psychosozialen Hintergrund. Oder was meinen Sie, wieso Joey Heindle gewonnen hat?
Über das Format an sich möchte ich hier gar nicht sprechen. Ob es die Menschenwürde verletzt, falsche Vorstellungen von Ruhm befördert oder letzten Endes nur niveaulose Chipstüten-Unterhaltung ist. Um all das soll es hier nicht gehen. Gehen wir einfach mal davon aus, dass es eine quotenstarke Sendung ist, die einen Großteil des Fernsehpublikums vor den Fernseher lockt. Es soll stattdessen darum gehen, wer diese oder ähnliche Formate gewinnt. Als Beispiele seien Peer Kusmagk und Joey Heindle genannt. Letzterer gewann die aktuelle Staffel vor drei Tagen vor Olivia Jones und Claudelle Deckert.
Wieso ich mich so gut auskenne? Weil ich die Sendung verfolgt habe. Weniger aus Voyeurismus oder ähnlichen Motiven heraus als vielmehr mit einem gewissen sozialwissenschaftlichem Interesse. Damit meine ich nicht das Verhalten der 'Bewohner' untereinander, sondern das Abstimmverhalten der Zuschauer. Das RTL-Publikum bildet zwar keinen repräsentativen Durchschnitt, aber es bildet einen Durchschnitt, nämlich den der Menschen, die sich im Privatfernsehen seichte Unterhaltung anschauen, was ihnen durchaus gegönnt ist (schließlich gehöre ich ab und an auch dazu ;-) ). Was bedeutet das in Bezug auf die Siegeskandidaten?
Peer Kusmagk: Er hat es geschafft, sich aus Streitigkeiten weitgehend herauszuhalten, gegen niemanden zu intrigieren sowie Offenheit und Ehrlichkeit an den Tag zu legen. Als diplomatischer Außenseiter hat mit ihm schließlich nicht der gewonnen, der am lautesten geschrien hat, sondern der, der einem 'normalen Menschen' am nächsten kam. Dass er dabei intern ins Abseits geraten ist, hat die Zuschauer nicht gestört. Sie würdigten Kusmagks Sinn für das Gemeinwohl und wählten ihn zum 'Dschungelkönig'.
Joey Heindle: Von Anfang an als Verlierer gehandelt, war er der Einzige, der sich nicht verstellt hat. Auch er hat mit Werten wie Ehrlichkeit und einer gesunden Portion Naivität die Herzen der Zuschauer gewonnen. Keine Sticheleien, kein Gerede hinter dem Rücken Anderer. Durch seine Tolpatschigkeit hat er bei vielen sicher auch einen gewissen Nerv getroffen, der den Beschützerinstinkt stimuliert. Das Ergebnis? Die Krönung zum Dschungelkönig.
Die 'Botschaft' solcher Abstimmungen könnte also lauten: Hilf den Armen und Schwachen, den Ehrlichen und den 'Normalos', denn sie haben es nötiger als jene Leute, die ohnehin auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Nun will ich nicht zuviel aus einer RTL-Zuschauerabstimmung herausinterpretieren, frage mich aber, wieso diese einfachen Botschaften bei TV-Formaten 'funktionieren' - auch bei DSDS oder anderen 'Castingshows' gewinnen selten die 'Perfekten' -, während man auf gesellschaftlichem oder politischem Parkett oft Mühe hat, Mehrheiten für soziale Gerechtigkeit und Diplomatie zu gewinnen. Ich sehe es als Indiz dafür, dass Menschen tief in ihrem Innern wissen, was Recht und was Unrecht ist.
Auf die Frage, wieso es in Bezug auf Fernsehsendungen 'aktiviert' und in anderen Lebenslagen 'deaktiviert' wird, fällt mir nur eine mögliche Lösung ein: Bei einer Fernsehabstimmung hat man als Anrufer - bis auf einige Cent weniger im Geldbeutel - nichts zu befürchten, bei einer politischen Wahl oder anderweitigem Engagement könnte es hingegen sein, dass man mit einem Einsatz für Menschen am Rande der Gesellschaft seinen eigenen Wohlstand untergräbt. Damit wären wir wieder beim Thema Opportunismus: 'Ich helfe Anderen nur, solange es mir selbst nicht schadet.'
Dass es dennoch so viele Leute gibt, deren Herz eben doch einen Platz für ehrliche Werte hat, hätte ich nicht gedacht. Dass diese vorrangig aus der Mittel- bis Unterschicht kommen (ich hoffe, ich habe das RTL-Publikum damit nicht beleidigt :-/ ), habe ich zwar geahnt, aber eigentlich auch nicht gedacht. Dass mich ausgerechnet 'dem RTL' daran erinnern würde, noch weniger. So komme ich nach all dem Lehrreichen - und vielleicht auch etwas Überinterpretierten - am Ende doch noch auf das Niveau der Sendung zurück, das mich leider auch weiterhin in meinem Beschluss bestätigt: "Ich bin kein Star - Und ich möchte da auch nicht reeeeeeeeeeeein!" ... Ta.
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Centrifugal Juicer (Freitag, 12 April 2013 18:02)
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