Wieso ich das Dschungelcamp derzeit den Öffentlich-Rechtlichen vorziehe

Pegida, Legida, Kögida, Bogida, Dügida, Hagida, Bragida und Bärgida. Islamisierung, Islamismus und Islamfeindlichkeit. Charlie Hebdo, freie Presse und Demokratie. Dazu Unmengen mutmaßlich schlauer Menschen, die eines eint: Sie alle haben eine Meinung und sie alle tun diese öffentlich kund. Frei nach dem Motto: 'Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.'

Es ist ja auch mehr als einfach, in der heutigen Zeit eine Meinung in die Welt hinauszuposaunen. Kaum ein Politiker, der sich nicht auch bereits eingereiht hätte in die Reihe von Menschen, die Selbstverständlichkeiten von sich geben: "Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo war ein grausamer Akt und darf sich nicht wiederholen." Dazu Applaus der Talkshowgäste bei Jauch, Maischberger, Illner, Plasberg und wie sie alle heißen. Ach, echt? Gut, dass es jemand gesagt hat, wäre man ohne diese Sendungen sicher nicht drauf gekommen. "Islam und Islamismus sind zwei verschiedene Dinge." Sätze wie diese sind zwar wahr, aber so dermaßen omnipräsent in den gazettengleichen Sendungen der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft, dass man den Verantwortlichen zurufen möchte: "Jahaaa, wir wissen es langsam!"

Wer nicht die Muße hat, den Herren in Anzug und Krawatte zu lauschen, der ist ganz hip und bekundet seine Solidarität einfach schnell bei Facebook: Als Profilbild flott "JE SUIS CHARLIE" einstellen und zack, ist man dabei und gehört fortan zur Gruppe der Profi-Solidarisierer, Betroffenheits-Kundtuer und Diplom-Anteilnehmer, weil man damit echt ein wichtiges Zeichen gesetzt hat... *räusper* Vermutlich sind das auch jene Menschen, auf deren Festplatte für jeden Vorfall ein passendes Profilbild vorhanden ist: Beim Atomunfall lädt man das gute, alte "Atomkraft, nein danke!" hoch, bei einem neuen Fleischskandal das Peta-Banner und sollte mal wieder eine Bohrinsel abgesoffen sein, hat man sicher auch noch irgendwo einen Greenpeace-Regenbogen parat. Ich weiß, wovon ich rede, ich war früher selbst so... ;-) Profilbildchen gegen die Zerstörung der Welt - ein fragwürdiges Konzept, zumal es bei Vielen nach dem Ändern des Bildchens aufhört. Es ist ja auch viel verlockender, sich - nachdem man sich so energisch für eine bessere Welt eingesetzt hat (das Hochladen war aber auch anstrengend) - mal schnell die neusten Smartphones anzusehen, schließlich hat der beste Freund gerade schon wieder ein neues Modell. Ob auf dem neuen Smartphone noch mehr Speicherplatz ist für noch mehr Solidarisierungsbildchen, mit denen man zeigen kann, zu welcher Peergroup man gehört? Doch ich werde zynisch. Böser Blogger! Aber mal im Ernst: Ist es ethisch vertretbar, ein Statement gegen Billigarbeit in Fernost mit einem Smartphone hochzuladen, das in Fernost produziert wurde? ... Ich schweife ab, zurück zu den Öffentlich-Rechtlichen!

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den aktuellen Themen ist zwar wichtig, aber sicher nicht so wichtig, wie es derzeit die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft widerspiegelt. Seit dem Anschlag in Paris scheint sich die Welt nur noch um die Frage zu drehen, was Satire darf, was nicht, ob 'der Islam' das Abendland bedroht oder nicht, ob Pegida nun 'rechts' ist oder nicht, wer sich mit wem solidarisieren sollte und welche 'Solidarisierungsallianzen' es geben könnte. Vor lauter Solidarisierung geraten die Opfer fast in Vergessenheit. Sie werden nicht dadurch wieder lebendig, dass man die Themen kollektiv zerredet, sein Profilbild ändert oder sich mit einer Kerze auf die Straße stellt (leider auch nicht dadurch, dass man darüber bloggt). Und nur weil die Staatschefs medienwirksam in Reih und Glied stolzieren, ist Europa auch nicht von heute auf morgen 'ein einig Vaterland', Symbolik hin oder her.

Bernhard Suttner hat einmal einen sehr lesenswerten Artikel zu thematischer Omnipräsenz verfasst, der die Überschrift trägt: "Alle! Ein Thema! Mäh, mäh, mäh!" Damals ging es um Rainer Brüderle und seinen angeblichen Sexismus - zugegeben, ein weniger brisantes Thema als das derzeitige, dennoch ist der Grundgedanke identisch: Egal, wohin man schaltet, überall die gleiche Soße, meist ergebnisoffen bis ergebnislos. Das 'Setting' dieser Shows ist austauschbar: Man nehme einen Politologen, einen Wutbürger, zwei Politiker konkurrierender Parteien (vorzugsweise einen 'linken' und einen 'rechten') sowie eine studierte Islamwissenschaftlerin (wahlweise eine, die pro oder contra Islam spricht) - fertig ist der Aufwasch! Hat man mehr Stühle zur Verfügung, darf man auch noch einen Verbandssprecher einladen (ebenfalls wahlweise den Zentralrat der XY oder eben einen Pegida-/AfD-Kopf). Sie alle, die weder vom Durchschnitt der Muslime noch von den Pegida-Demonstranten wirklich Ahnung zu haben scheinen, geschweige denn von den Sorgen und Problemen des vielzitierten kleinen Mannes auf der Straße, ergießen sich dann in Statistiken, Prozenten und Zahlenspielen. "Soundsoviel Prozent der Muslime sind perfekt integriert", ertönt dann als Schlag der Muslima gegen den AfD-Politiker. Der CSUler eilt ihm zuhilfe: "Soundsoviel Prozent aber nicht." Der Uni-Prof sieht es wieder anders: "Also laut der Studie, die mir vorliegt......" Als Zuschauer sitzt man davor und denkt sich: "Aha. - Die Krawatte des Moderators ist echt hässlich." Und das nicht, weil man der Diskussion nicht folgen möchte, sondern weil es schlicht keine Diskussion respektive keinen Informationsgehalt gibt. Ich muss an Remarque denken: Im Westen nichts Neues.

Jeder versucht zu definieren, was der Islam ist, was er nicht ist, was Pegida will, was Pegida nicht will, was Satire darf, wo die Grenzen der Pressefreiheit liegen, ob man Religion grundsätzlich so der Lächerlichkeit preisgeben darf oder nicht. An manchen Stellen klatschen die Zuschauer im Studio, an anderen nicht - offenbar, weil sie meinen, der geäußerten Meinung damit mehr Nachdruck verleihen zu können oder eben nicht. Dafür, dagegen, like, dislike, Daumen hoch, Daumen runter, legal, illegal, scheißegal! Ich werde mich hüten, in diesen Kanon mit einzustimmen. Ich habe eine Meinung dazu, doch ich möchte einer der Wenigen sein, die diese nicht in die Welt hinausposaunen und meinen, damit ein "deutliches Zeichen" für oder gegen etwas zu setzen. Ich möchte nicht, dass man vor lauter Zeichensetzung (im Wortsinn) die ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema aus den Augen verliert.

Beim abendlichen Fernsehprogramm zappe ich mich durch die TV-Landschaft: Auf Phoenix ist man dagegen. Auf 3sat ist man dafür. (Worum geht's überhaupt?) Im ZDF ist man sich noch nicht einig. Und in der ARD steht es 1:1 im Schlagabtausch 'AfD gegen Islamwissenschaftlerin': "Im Koran gibt es Verse, die zur Gewalt aufrufen." "In der Bibel aber auch." Aha. Im WDR streitet man darüber, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht - als hinge von der Beantwortung dieser Frage das Schicksal der gesamten Menschheit ab. Der CDU-Politiker ist sichtlich bemüht, politisch korrekt zu sprechen, damit man ihm hinterher nichts als Pauschalisierung auslegen kann. Heißt es "die Muslime in Deutschland", "die deutschen Muslime" oder "die muslimischen Deutschen"? Wieso erwähnt man überhaupt die Religion? Man sagt ja auch nicht 'die christlichen Deutschen'... Schwierig, schwierig, schwierig. Ich muss an Dieter Nuhr denken: "Zukünftig heißt es in der StVO nicht mehr 'der Vorausfahrende', sondern 'der oder die Vor-, Hinter- oder seitlich Nebenherfahrende'." Und ist meine Marmelade überhaupt noch Marmelade oder eher eine Konfitüre extra? Wo ist der Unterschied zum Fruchtaufstrich? (Solche Dinge regelt die EU tatsächlich!) ... Doch ich schweife schon wieder ab, zurück zu den Talkshows!

Dort wird geredet und geredet und geredet, hitzig, sachlich, aber nie ziel- oder lösungsorientiert. Es wird geredet, um hinterher eine druckreife Meinung zu haben. In guten Sendungen ist diese Meinung sogar wissenschaftlich fundiert - wäre ja auch zu blöd, wenn man den Ethik-Professor mit den zwei Doktortiteln umsonst eingeladen hätte. Ich muss wieder an Bernhard Suttner denken: Alle! Ein Thema! Mäh, mäh, mäh! Am Ende der Sendung hat man fünf Meinungen gehört und vielleicht sogar seine eigene auf den neusten Stand der Debatte gebracht, aber keine Ahnung, wie man die zu Beginn angesprochenen Probleme lösen könnte. Mir fällt Mario Barth ein: "Nicht quatschen! Machen!"

Ich zappe und zappe und zappe und fasse mal wieder den Beschluss, weniger Fernsehen zu gucken. Ist ja eh alles Lügenpresse. Oder doch nicht? Während ich noch über die Lügenpresse-Frage nachdenke, bleibe ich - Zufall? - bei RTL hängen: Sonja Zietlow und Daniel Hartwich brüllen den Slogan von 'Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!' in die Kamera. Ich habe mich noch nie darüber gefreut, wenn eine neue Staffel des Dschungelcamps begann. Dieses Jahr ist das anders.

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