Zur aktuellen Sexismus-Debatte

Ich weiß gar nicht, worüber ich am lautesten lachen soll: Über Rainer Brüderle, der es offenbar nicht geschafft hat, aus einer Abendlaune heraus sein Mundwerk im Zaum zu halten. Über den 'Stern', der eine eigentlich völlig belanglose Geschichte - bewusst oder unbewusst - erst ein Jahr, nachdem sie passiert ist, veröffentlicht. Oder über die Massenmedien, die nichts besseres zu tun haben, als aus diesem Kasperltheater eine neue Grundsatzfrage zu formulieren: "Hat Deutschland ein Sexismus-Problem?" Gähhhn...

Dabei hatte ich mir eigentlich vorgenommen, es wie Bernhard Suttner zu halten und nicht in das öffentliche Ringelreihen einzustimmen (seinen gesamten Artikel finden Sie hier). Ich muss trotzdem aus einigen Gründen Stellung beziehen:

 

1. Das Thema ist wichtig, der Anlass lächerlich.

Sexismus muss Thema sein. Im Sinne des Opferschutzes ist eine sachliche Auseinandersetzung unbedingt notwendig. Es geht Männer und Frauen an (oder Frauen und Männer? ;-) ). Der Anlass - Brüderles 'Patzer' - wirkt dagegen so lächerlich, dass die Ernsthaftigkeit der vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Thema darunter leidet. Der vielzitierte kleine Mann auf der Straße sagt zurecht: "Und all das wegen so einer Kleinigkeit?"

 

2. Wichtigere Themen werden verdrängt.

Das Thema ist dermaßen omnipräsent (auch außerhalb der Medien), dass andere Themen in den Hintergrund geraten. Was ist z. B. mit der bis dato groß aufgezogenen Debatte um Moral und Ethik in deutschen Krankenhäusern? Plötzlich vergessen? Nach wie vor ist die Position der Kirche weder klar noch deutlich. Nach wie vor ist es in einem zivilisierten Land wie Deutschland möglich, dass dem Opfer einer Staftat medizinische Erstversorgung vorenthalten wird. Auch wenn einige Wenige inzwischen erkannt haben, dass 'der Zeitgeist' nicht immer antichristlich ist, die Diskussion darüber wird von einer Diskussion über einen 'Busen-Kommentar' überdeckt...

 

3. Die Betrachtung des Falls unter umgekehrten Vorzeichen.

Pfeift eine Frau auf der Straße einem Mann hinterher, ist es OK. Pfeift ein Mann einer Frau hinterher, ist das der Anfang einer sexuellen Belästigung? Was ist denn mit all den Damen, die im Rahmen eskalierender Junggesellinnenabschiede Stripper auffordern, doch bitte auch noch den Ledertanga abzulegen? Sind das auch alles 'schwanzgesteuerte' Wesen? (Erst beim Formulieren dieser Frage fällt mir auf, dass es einen entsprechenden femininen Begriff gar nicht gibt...) Damit mich niemand missversteht: Ich habe absolut nichts gegen fröhliche Unterhaltung, meinetwegen auch im Stripclub. Solange alle Beteiligten in gegenseitigem Einverständnis handeln und sich respektieren, ist das völlig in Ordnung. Doch zurück zum Thema: Ein Mann, der in einen Nachtclub geht, ist notgeil. Eine Frau, die sich einen Auftritt der berühmten Chippendales ansieht, nicht. Soweit die Logik der Schwarzer'schen Feministinnen.

 

4. Die Verunsicherung als Mann.

Was darf ich überhaupt noch in der Gesellschaft? Darf ich eine Frau überhaupt noch ansehen? Wenn ja, wohin soll ich blicken? Ist auch der Blick in ihre Augen schon lüstern? Oder der auf ihren Bauch? Soll ich womöglich gen Himmel starren, nur um der Gefahr aus dem Weg zu gehen, eine Frau 'unmoralisch anzusehen'? Allein biologisch betrachtet ist das ein Ding der Unmöglichkeit, was ich spätestens dann bemerke, wenn mich der Bus überfährt, den ich nicht habe heranrollen sehen. Oder wollen wir Zustände, die denen in streng islamischen Ländern ähneln? Frauen vollverschleiert, damit ihre Reize niemanden zu Missetaten anstiften? In Deutschland? Nur weil Männer gerne schöne Frauen ansehen? Es wird langsam absurd.

 

5. Die Übervorsicht gemäß amerikanischem Vorbild.

In Amerika ist es bereits heute so, dass eine Äußerung wie "Sie haben schöne Beine" zu einer Anklage wegen sexueller Belästigung führen kann. Gemeinsames Aufzugfahren oder allein mit der Mitarbeiterin im Büro? In Teilen Amerikas undenkbar. Auch ich konnte mich während meines Lehramt-Studiums belehren lassen, es sei "unklug", mit einer Schülerin allein im Klassenraum zu verbleiben, um noch etwas zu besprechen. Und wieso? Weil eine Vorverurteilung im Raume steht, die diskriminierender (und zwar Männern gegenüber!) nicht sein könnte: 'Jeder Mann will zu jeder Zeit mit jeder Frau intim werden, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Also Frauen, nehmt Euch in Acht!' Wer den Männern (und Lehrern) hilft, die zu Unrecht einer solchen Straftat beschuldigt werden, will die Gesellschaft nicht wissen. Ein anderes Beispiel ist der Fall Kachelmann: Ich kann nicht beurteilen, ob es so oder so war. Mir persönlich ist es auch egal, solange die Richter nach bestem Wissen und Gewissen geurteilt haben. Erschrocken hat mich aber das Vor-Urteil (im Wortsinne) einer Frau Schwarzer, das schon gefällt war, bevor überhaupt nur irgendein kleines Detail ans Licht gekommen war.

 

6. Die selbsterfüllende Prophezeiung.

Ich werde mich hüten zu sagen, eine Frau, die aufreizend gekleidet ist, lege es darauf an, angesehen zu werden. Es entspräche auch nicht ganz meiner Meinung. Ich frage mich dennoch, was daran moralisch verwerflich sein soll, einer attraktiv gekleideten Frau hinterherzusehen. Als ob eine Frau einem adretten Mann nicht hinterhersehen würde. Das Gucken allein als Lüsternheit abzuqualifizieren, ist eine Marotte der Feministinnen, die während all ihrer Forderungen nach Moderne und aufgeklärter Gesellschaft selbst die ewig Gestrigen bleiben, indem sie die Stereotype 'Frau = gut' und 'Mann = schlecht' bedienen. Was heißt das für die Debatte? Konkret: Eine Frau, die überall lüsterne Augen wittert und in Männern nur triebhafte Wesen sieht, die nichts besseres zu tun haben, als sie mit den Augen auszuziehen, wird einen 'normalen' Blick wesentlich früher als unmoralisch einstufen als eine Frau, die wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist und Dank der fortschreitenden (und zu begrüßenden) Gleichberechtigung (nicht 'Gleichmachung', denn Männer und Frauen sind nicht gleich) mit offenen Augen und selbstbewusst durchs Leben geht. Wer mit der Angst lebt, immer und überall auf seine optischen Reize reduziert zu werdem, wird dies irgendwann tatsächlich, zumindest nach eigenem Empfinden. Das ist Tiefenpsychologie, genauer gesagt ein Projektionsfehler, und älter als jede Form des modernen Feminismus.

 

7. Politisches Kalkül?

Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, daher zähle ich nur einige Dinge auf: Das Verhalten Brüderles war unhöflich, aber kein Grund für eine große Berichterstattung. Der 'Stern' hatte die Geschichte ein Jahr in der Schublade liegen. Sie wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem es in der FDP Personalfragen zu klären gibt. Außerdem sind die nächsten Wahlen nicht sehr weit entfernt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

 

8. "Einfach mal locker durch die Hose atmen." Ohne überzogene politische Korrektheit.

Was nach einem chauvinistischen Macho-Spruch klingt und kein Freibrief für anzügliches Verhalten sein soll, ist ein Zitat Bernd Strombergs. Übersetzt bedeutet es nichts anderes als 'die Kirche im Dorf lassen' oder 'aus einer Mücke keinen Elefanten machen'. Situationen wie die zwischen Brüderle und besagter Journalistin können mit gesundem Menschenverstand auch einfacher geklärt werden. Ein bestimmtes "Herr Brüderle, jetzt sind Sie aber übers Ziel hinausgeschossen. Finden Sie nicht, Ihre Bemerkung war primitiv und anzüglich?" hätte es auch getan. Spätestens dann hätte der FDPler sich entschuldigen und die Sache klären können. Daraus eine Grundsatzdiskussion über patriarchalisches Verhalten zu machen, kann lächerlicher nicht sein. Ich starte ja auch keine Debatte über Lebensmittelgifte, nur weil Frau Merkel Durchfall hat. Erst vorgestern fragte mich ein älterer Herr, den ich bis dahin noch nicht kannte, auf einem Familienfest, ob ich Koch sei, da ich so proper aussehe und so eine kräftige Figur abgebe. "Sie sind ja ein stämmiger Bursche." Das Allerletzte, was mir da in den Sinn kam, war die Möglichkeit, den Herren auf Diskriminierung dicker Menschen zu verklagen. Im Gegenteil: Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile sehr angeregt und interessiert. Genau das meine ich mit diesem Punkt. Wer dick ist, ist dick. Wer Türke ist, ist Türke. Und wer sexy aussieht, sieht sexy aus. Wieso sollte man ein Problem damit haben, sich das sagen zu lassen? Die 'political correctness' ist längst zum Selbstzweck geworden. Da spricht man von 'Molligen, Südländern oder attraktiven Damen', dabei ist weder 'dick' noch 'Türke' noch 'sexy' ein Schimpfwort. Es wird erst dann zum Problem, wenn man selbst ein Problem damit hat.


9. Die Rolle der Medien (mal wieder).

Auch hier kommt der vielzitierte kleine Mann wieder zum Einsatz: "Solange die so eine Kleinigkeit zum Anlass nehmen, pausenlos zu berichten, haben wir keine wichtigeren Probleme." Es ist, als legte man einen Schalter um, der bewirkt, dass von hier auf jetzt nur noch ein Thema läuft. Und zwar auf allen Kanälen. Es dauert nicht lange, da werden simple Begriffe wie 'Belästigung' oder auch Namen wie 'Brüderle' auf die imaginäre Schwarze Liste der Zuschauer/-hörer gesetzt. Schon jetzt wird die übersteigerte mediale Aufmerksamkeit diesen Fall betreffend als 'Brüderle-Debatte' bezeichnet. Reißerische Schlagzeilen und alliterierende Sendungstitel geben sich die Klinke in die Hand. Was darf bei all dem nicht fehlen? Natürlich, die Deutschland-Aussage (vgl. dazu auch meinen älteren Blogeintrag vom 16.01.): "Deutschland hat ein Sexismus-Problem".

 

10. Wer fragt eigentlich die Frauen?

Sie ist sicher nicht repräsentativ, trotzdem möchte ich als letzten Punkt eine Anekdote aus meinem Freundeskreis erzählen. Eine gute Freundin ist leidenschaftliche Tänzerin und hat bei einem ihrer Tanz-Seminare bemerkt, dass viele Männer auf ihren Hintern gucken. Allein das wäre ein Skandal in den Augen vieler Feministinnen. Ich hatte eigentlich auch erwartet, dass besagte Freundin mit Empörung und einer Schelte gegen die primitive Männerwelt reagieren würde. Doch Fehlanzeige! Sie freute sich über die bewundernden Blicke und meinte sogar, erst da sei ihr klar geworden, dass sie offenbar eine tolle Figur hat, auf die sie stolz sein kann. Und sie ist keine, die es nötig hat. Im Gegenteil: Sie ist eine intelligente Frau, die sich über zahlreiche andere Dinge definiert und schon eine Menge erreicht hat. Das Argument der mutmaßlichen Frauenrechtlerinnen, "eine Frau, die so etwas braucht, hat kein Selbstwertgefühl", greift in ihrem Fall also nicht. Aber so unterschiedlich können Frauen sein. Da die Hemmschwelle, etwas als störend zu empfinden, bei jeder Frau anders ist, bringen Diskussionen, zu denen vorrangig 'Berufsemanzen' eingeladen werden, niemanden wirklich weiter. Ich verwende diesen negativen Begriff mit Absicht, um sie von den emanzipierten Frauen abzugrenzen, die wirklich etwas bewirken, indem sie nicht bloß das Männer-sind-böse-Dogma mantraartig wiederkauen (Alice Schwarzer meinte neulich tatsächlich, betonen zu müssen, dass sie Männer auch für Menschen halte), sondern sich für echte Gleichberechtigung jenseits des Machtkampfes 'Patriarchat vs. Matriarchat' einsetzen. Für die erstgenannte Sorte berufsmäßiger Frauenrechtskämpferinnen gilt: Es fehlt - wie so oft - leider der berühmte Bezug zur Lebenswirklichkeit.

 

Dafür, dass ich zum Thema eigentlich den Mund halten wollte, ist es nun doch der bisher umfangreichste meiner Blogeinträge geworden. Vielleicht, weil mich das Thema emotional stärker mitreißt, als ich glaube? Weil ich ein Mann bin und als solcher nicht auf meinen Sexualtrieb reduziert werden möchte (vielleicht sollten sich die Männer mal 'emanzipieren' ;-) )? Weil ich eine schöne Frau ansehen dürfen möchte, ohne dass gleich die Handschellen klicken? Auf jeden Fall aber, weil all diese Punkte einer notwendigen und vor allem sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema schaden. Stattdessen hüpft man von Meinung zu Meinung. Jeder hat mal etwas dazu gesagt, doch in einem Monat ist all das vergessen und wir widmen uns wieder der Attraktivität noch belangloserer Boulevardmeldungen. Um es mit Bernhard Suttner zu sagen: "Der Überdruss aufgrund von kurzzeitiger Überkommentierung verhindert die ernsthafte Bearbeitung. Themen bearbeiten, bis sich Lösungen ergeben – wie altmodisch und langweilig!"

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